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Der Britney-Backlash: Warum gilt immer noch das alte Motto "Sex sells", Sophie Gilbert?

Der Britney-Backlash: Warum gilt immer noch das alte Motto "Sex sells", Sophie Gilbert?
4 Min.

Die Sexualisierung weiblicher Popstars ist die zuverlässigste Masche, um Platten zu verkaufen. Jüngstes Beispiel nach Britney und Co.: Sabrina Carpenter. Was macht das mit uns Frauen? Die US-Kulturkritikerin Sophie Gilbert kennt Antworten.

Es wurde viel geraunt und diskutiert, die Kommentarspalten der sozialen Medien liefen voll, als die amerikanische Sängerin Sabrina Carpenter ihr neues Albumcover und sich darauf als williges Sexobjekt präsentierte. Die einen sahen darin eine nachgestellte Männerphantasiem andere deuten das Foto als Empowerment. Wir haben mal bei der preisgekrönten US-Kulturkritikerin Sophie Gilbert nachgefragt, deren Gesellschaftsanalyse "Girl vs. Girl" gerade auf Deutsch erschienen ist. Darin untersucht die Journalistin, wie uns allgemein die Objektifizierung von Frauen in den Medien prägt – oder besser gesagt: verkorkst. Und ob wir, die mit Britney und Co. aufgewachsen sind, vielleicht nicht anders können, als dies schlecht zu finden.

BRIGITTE: Frau Gilbert, kann man es wirklich Empowerment nennen, wenn Künstlerinnen wie Sabrina Carpenter heutzutage ihre Sexualität zwar selbstbestimmt, aber immer noch an die (Macht-)Fantasien des Patriarchats angepasst kommerzialisieren?

Sophie Gilbert: Am spannendsten an Sabrina Carpenters aktuellem Albumcover ist für mich die Reaktion darauf. Die meisten Kritikerinnen und Kritiker sind nicht wütend, dass es sexualisiert ist. Sie stören sich mehr an den Geschlechterverhältnissen im Bild – wie Carpenter da unterwürfig kniet, an den Haaren gezogen wird, auf einem Albumcover mit dem Titel "Man's Best Friend". Was Carpenter damit sagen will – das ist schwer zu wissen, ohne sie direkt zu fragen – und wie subversiv oder ironisch sie das meint.

Stimmt.

Viele sehen das Bild eingebettet in einen Medienkontext, der für Frauen eher Rückschritt bedeutet, in einer Kultur, in der Frauenfeindlichkeit wieder aufflammt. Dass eine Künstlerin mit so einem Bild bewusst provoziert, ist also nicht neu. Aber der besonnene, reflektierte Gegenwind im Netz ist ein Fortschritt für Frauen insgesamt. Wir haben keine Angst mehr, unsere Meinung klar zu sagen oder Widerspruch einzulegen.

Worin unterscheiden sich heutige Künstlerinnen wie Carpenter von den stark sexualisierten Teenie-Stars der frühen 2000er wie Britney Spears oder Christina Aguilera, mit denen unsere Generation erwachsen geworden ist?

Teaserbild für den Newsletter Empower Hour

Für mich war die sexualisierte Seite von Carpenters öffentlichen Persona immer auch eine Übertreibung, ein bisschen absurd und mit Spaß. Das neue Cover fühlt sich anders an – sie wirkt weniger als mächtiges Subjekt, sondern eher als traditionell passives Objekt – wie einst Britney.

Sophie Gilbert

So empfinde ich das auch. Und dieses "Objekt" entspricht auch noch ganz den traditionellen Schönheitsidealen. Superdünn, superblond, supersexy.

Die erneute Fixierung auf sehr schlanke, dünne Körper hat mich auch überrascht. Wir hatten doch Fortschritte bei Body Positivity oder zumindest Body Neutrality – den eigenen Körper dankbar oder akzeptierend zu sehen, statt ihn zu verachten. Gleichzeitig sehe ich Parallelen zu den sexistischen Komödien der 2000er in einigen männlich dominierten Online-Communities, wo Männer um Anerkennung kämpfen und Frauen bestenfalls als Sexobjekte, schlimmstenfalls als Gegnerinnen sehen.

Durch die "Abnehmspritze" sind wir wieder gefährlich nah dran an der Fat-Shaming-Kultur der 2000er. Wird dieses jahrzehntelange Ritual der Selbstverachtung je enden?

Ich hoffe es sehr, aber vieles fühlt sich vertraut an. Die Sprache bei SkinnyTok, der absichtlich beschämende Tonfall der Influencer:innen, die Fetischisierung von Essstörungen – genau wie in den 2000ern. Für Frauen könnte das auch ein Versuch sein, Kontrolle zu behalten in einer zunehmend fragmentierten, chaotischen Kultur. Mein Buch sollte vergangene Muster beleuchten, warnen und zeigen: Solange wir sie nicht komplett ablehnen, kehren sie immer wieder zurück.

Wie könnte denn ein wirklich emanzipierter Umgang mit weiblicher Sexualität in der Popkultur aussehen – jenseits des oberflächlichen "Sexy sells"-Narrativs?

Das müsste eine echte Erkundung von Lust und Experimentieren für Frauen sein. In den 2000ern war Sex überall, aber meist als Performance für männliche Befriedigung, die viele Frauen von ihrem tatsächlichen Wunsch entfremdet hat. Weibliches Verlangen ist ein viel zu wenig erforschtes und missverstandenes Thema. Ich wünsche mir mehr Künstlerinnen wie Chappell Roan, die Sex ständig thematisiert, aber ohne sich darum zu scheren, was Männer davon halten.

Sie schreiben, es tröste Sie, dass viele junge Frauen heute Trends wie die "Tradwife"-Bewegung oder 12-jährige Hautpflege-Influencerinnen durchaus skeptisch betrachten und kritisch hinterfragen. Was könnte Frauen trotzdem dazu verleiten, in alte Geschlechterrollen abrutschen?

Es gab immer Frauen, die lieber den patriarchalen Status quo akzeptieren, als ständig dagegen anzukämpfen. Das kann ich sogar verstehen. Feminismus heißt, die Freiheit zu haben, selbst zu wählen. Aber wir, die diese Freiheit wollen, stecken in einer Online-Welt, die Provokation und Konflikte belohnt. Wir sollten nicht vergessen: Die meisten "Tradwives" sind Performerinnen und repräsentieren nur einen kleinen Teil der Frauen, trotz ihres großen Einflusses.

Nachdem ich Ihr Buch gelesen hatte, war ich verstört davon, wie häufig ich mich den (sexuellen) Wünschen des Patriarchats unterworfen habe. Offenbar habe ich unbewusst nachgeahmt, was mir die Popkultur in meiner Jugend als "normal" verkauft hat – mit Filmen wie "American Pie" oder "Clueless". Es ging um Geld, Schönheit, Performance im Bett. Was macht es mit uns, mit solchen Bildern aufzuwachsen? Tragen wir die Frauenfeindlichkeit von damals noch in uns, und fällt es uns deshalb schwerer, Frauen wie Sabrina Carpenter heute kritisch zu bewerten?

Wir haben gelernt, dass Frauen Sexobjekte sind. Sex – so wie Männer ihn wollen – wurde unsere wichtigste Währung, um Macht in einer patriarchalen Welt zu erlangen. Außerdem haben wir gelernt, dass wir mit anderen Frauen um diese Macht konkurrieren müssen. Sie waren schlimmstenfalls unsere Feindinnen, nie unsere Verbündeten.

Immer mehr Feministinnen sagen heute, dass sie keine Lust mehr haben "sexy" zu sein – um sich diesem System zu verweigern. Mir ging es ähnlich, nachdem ich Ihr Buch gelesen hatte.

Das kann ich gut nachvollziehen. Ich bin Anfang 40 und habe kleine Kinder – und an den meisten Tagen habe ich gar keine Zeit, mir darüber Sorgen zu machen. Und das kann auch sehr befreiend sein. Für mich geht es bei Selbstinszenierung weniger darum, sexy oder mächtig zu wirken, sondern darum, mich gut zu fühlen. Es geht darum, Freude und Freiheit zu finden, mich so auszudrücken, wie ich bin und was ich will – nicht, wen ich beeindrucken will. Es ist Kreativität, Experiment und Selbstausdruck.

Girls vs. Girls
"Girl vs. Girl" von Sophie Gilbert: 18 €, Piper.

Stimmen Sie denn zu, dass Verweigerung die radikalste Form weiblicher Selbstermächtigung sein kann?Absolut. Verweigerung ist das A und O. Es ist alles. Die Ablehnung der fehlerhaften Bedingungen des Frauseins ist die Geschichte des Feminismus.

"White Lotus"-Star Sydney Sweeney verkauft neuerdings Seife aus ihrem Badewasser und verdient damit viel Geld. Sie erzählt, wie ermüdend es ist, ständig wegen ihrer blonden Haare und großen Brüste sexualisiert zu werden – trotzdem schlägt sie Profit daraus. Entsteht so nicht ein Teufelskreis? Weibliche Stars haben die Plattform und Freiheit, mit ihrem Ruhm zu tun, was sie wollen. Wir, das Publikum, haben die Freiheit, kritisch zu sein und unsere Meinung zu sagen. In letzter Zeit habe ich so viele Frauen gesehen, die das auf sehr befriedigende und neue Weise tun. So wie Sie bei Sabrina Carpenter.

Brigitte

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brigitte

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